Hallo meine Lieben!
So, nun melde ich mich auch endlich wieder einmal. Es tut
mir wirklich wahnsinnig leid, dass ich so lange nichts mehr geschrieben hab –
ich kann es selbst gar nicht fassen, dass jetzt Weihnachten schon wieder vorbei
ist und Silvester schon fast vor der Tür steht!
Meine Eltern haben mir erzählt, dass schon alle nach mir
fragen und sich Sorgen machen – müsst ihr nicht! Es ist einfach so, dass ich
hier in letzter Zeit so viel erlebt und gemacht habe, dass ich kaum an
Deutschland gedacht habe und schon gar nicht die Zeit gefunden habe, einen
Blogeintrag zu schreiben.
Aber jetzt an Weihnachten musste ich natürlich sehr an
daheim denken und habe meine Familie natürlich schon sehr vermisst – gerade
weil Weihnachten dieses Jahr so komplett anders war.
Sowieso hatte ich hier den gesamten letzten Monat nicht das
kleinste bisschen Weihnachtsgefühl – was einerseits daran lag, dass ich immer
so viel unterwegs war, dass ich eigentlich nie Zeit dazu hatte, nachzudenken,
aber andererseits auch einfach an den Temperaturen hier lag: Wie kann denn
Weihnachten sein, wenn es draußen 38°C warm ist? Da hat es auch nicht geholfen,
dass hier alle Geschäfte und Häuser weihnachtlich dekoriert sind (Schnee,
Schlitten und Weihnachtsmützen eingeschlossen!). Und dann die Weihnachtsmusik: „Let it snow“ und „Last Christmas“
im Sommer fühlen sich doch sehr unreal an…
Auch der 24. hat sich einfach total seltsam angefühlt. Hier
im Haus haben alle schon vormittags angefangen, das Essen für abends
vorzubereiten. Und während bei meiner Familie in Deutschland die Bescherung
angefangen hat – haben wir hier im Hof ein Schaf geschlachtet.
Das war dann tatsächlich der Gipfel des unrealen Gefühls:
Schon am Morgen bin ich nämlich von dem unglaublich nervigen Gemähe eines
Schafs aufgewacht, das bei uns im Hof angebunden war. Und dann, nach dem
Mittagessen, wurde dieses Schaf eben geschlachtet: Zuerst wurden im drei Beine
zusammengebunden, dann wurde es an einem Hinterhuf mit einem Seil nach oben
gezogen. Mein Gastvater, Rafael, hat dann unser Küchenmesser geschärft und es
dem Schaf dann schließlich in den Hals „gerammt“.
Als dann das Blut rausgelaufen ist, kam meine Gastmutter mit
einer Schale, wo schon Zwiebeln und Koriander vorbereitet waren.
Diese Schale wird dann unter den Hals des Schafs gehalten
bis sie mit Blut voll ist. Nach ein bisschen Warten ist das Blut geronnen und
zu einem dunkelroten Glibberbrei geworden – fertig ist das „Ñache“, eine
chilenische „Spezialität“, das zusammen mit Zitronensaft, Brot und Rotwein
verspeist wird…
Ich hab das ganze auch probiert, und ehrlich gesagt war es
weniger schlimm, als ich es mir vorgestellt hatte. Es hat eigentlich gar nicht
nach Blut geschmeckt, sondern ziemlich stark nach Schaf – das ekelhafte ist
aber einfach die Beschaffenheit, die sehr an Wackelpudding erinnert…
Außerdem war das schreckliche, dass das Schaf während der
ganzen Prozedur noch gelebt hat!!! Rafael hatte nämlich die Halsschlagader
nicht richtig getroffen, sodass das Schaf sehr langsam verendet ist…
Anschließend wurde es dann schließlich gehäutet und
ausgenommen. Das war dann ehrlich gesagt ziemlich interessant, die ganzen
Innereien und Organe mal zu sehen…
Danach waren wir dann arbeiten, was ein ziemlicher Witz war,
weil im Heim nur vier Kinder waren, der Rest war nämlich bei seinen Familien
daheim.
Abends, als wir nach Hause kamen, haben wir dann schließlich
das Schaf gegrillt und gegessen. Das war im Prinzip total lecker, aber
insgesamt fehlt mir bei dem chilenischen Essen einfach die Raffinesse: Es gab
neben dem purem Fleisch (das übrigens mit dem Händen gegessen wird) – wie bei
jedem Mittag- und Abendessen – nur Tomaten- und Rotkrautsalat und natürlich
Brot. Die Salate sind alle nur mit Salz und Zitronensaft zubereitet, und das
Brot ist auch immer das gleiche…
Um Mitternacht fand schließlich die Bescherung statt, was
aber auch ganz anders als in Deutschland war, weil kaum etwas verschenkt wurde,
nur die Kinder von unserer „Schwester“, (7 und 10 Monate alt), haben reichlich
Spielzeug bekommen.
Dann saßen wir noch bis in die Morgenstunden zusammen, haben
geredet, getrunken und viel gelacht :)
Am nächsten Morgen sind wir dann schon um 8 (geplant war
eigentlich 7 Uhr) in die Berge gefahren, zu einem wunderschönen Fluss, wo ganz
viele Familien den 25. verbringen. Dort haben wir dann ersteinmal gefrühstückt,
und ich für meinen Teil hab mich dann danach in die Sonne gelegt und ersteinmal
bis zum Mittagessen geschlafen.
Deshalb habe ich auch nur am Rande mitgekriegt, wie das
nächste Tier geschlachtet wurde: Eine Ziege, die die Familie mit dem Schaf
zusammen gekauft hatte. Dieses arme Tier tat mir noch viel mehr leid als das
Schaf vom Vortag, um es zu transportieren wurde es nämlich gefesselt und mit
dem ganzen restlichen Essen und Trinken im Kofferraum verstaut…
Ich hab es nicht gehört, aber Maria hat mir erzählt, dass
die Ziege ganz schrecklich geschriehen hat, ich meine, sie war da immerhin fast
zwei Stunden drin, und das bei Hitze und Schotterpisten…
Sowieso ist das Verhältnis der Chilenen zu Tieren doch sehr,
sehr anders als bei uns, und das schockt mich schon immermal wieder.
Sowieso hab ich mich an diesem Tag irgendwie total komisch
gefühlt. Das einzige, was wir eigentlich den ganzen Tag gemacht haben, war
nämlich gegessen (und getrunken). Zuerst natürlich gefrühstückt, wie immer
Brot, Tomate und Avocado.
Dann, während ich geschlafen habe, wurde wieder „Ñache“
gegessen, diesmal eben von der Ziege… Wie gesagt, bei dem ganzen
Schlachtungsprozess hab ich mich ziemlich ausgeklingt, denn irgendwie war alles
noch viel seltsamer als bei uns auf dem Hof – ich meine, wir waren da mitten an
einem öffentlichen Platz, um uns herum lauter andere Familien, von denen jeder
seine eigene Ziege oder sein eigenes Schaf hatte – die der anderen waren aber
wenigstens von Anfang an tot…
Dann, zum Mittagessen gab es erstmal die Reste vom Schaf vom
Vortag – natürlich auch nur wieder mit Tomaten- und Krautsalat und Brot.
Den Nachmittag über haben eigentlich alle nur auf der Wiese
gelegen und geschlafen, und dann gab es auch schon wieder Abendessen – Überraschung:
Gegrilltes. Diesmal die Ziege, und nur mit Tomatensalat…
Danach sind wir dann auch schon wieder heimgefahren.
Einerseits war der Tag wirklich schön, es war tolles Wetter,
wir haben im Fluss gebadet… Aber andererseits hab ich mich auch selten so anders
gefühlt, als die Chilenen. Vor allem fand ich es total schade, dass an dem Tag
alle irgendwie separiert waren, immer haben ein paar Leute geschlafen, ein paar
waren am Fluss, ein paar haben gegessen… Irgendwie hat das
Zusammengehörigkeitsgefühl gefehlt, das ich bei uns daheim bei der Familie so
mag.
Maria ist es ziemlich genauso gegangen, wir haben uns danach
noch total lange unterhalten, und ich bin doch sehr froh, dass ich jemandem
hab, mit dem ich mich da so austauschen kann… Denn ich glaube, bei uns in Santa
Bárbara ist es doch nochmal ganz anders, als beispielsweise in Los Angeles. Wir
leben nämlich hier schon sehr auf dem Land, wo eben die Leute viel, viel ärmer
sind als in den Städten… Und eben irgendwo noch viel „naturverbundener“ ;)
Gestern abend, als wir nach Hause gekommen sind, hatte ich
dann auch dementsprechend schon ein bisschen Heimweh, weil dieser Tag so
komplett anders war als bei uns zuhause…
Das hört sich jetzt so aufgeschrieben alles irgendwie sehr
negativ an. Das nervt mich ein bisschen, weil ich hier eigentlich im
Allgemeinen total glücklich bin und mich wirklich wohlfühle – nur manchmal wird
einem eben bewusst, dass hier doch einiges anders ist als zuhause. Und während
wir die ersten drei Monate eigentlich immer nur so in den Tag gelebt haben und
uns ein wenig treiben gelassen haben, fängt man jetzt immer mehr an, über alles
nachzudenken, und irgendwie zu vergleichen – das ist es wohl, was bei dem
Vorbereitungsseminar immer „Kulturschock“ gehießen hat.
Jetzt muss ich blöderweise los, arbeiten gehen, und beende
den Blogeintrag also hiermit.
Ich hoffe, das ich das ganze Thema demnächst mal weiter
ausführen kann… Und ich werde versuchen, wieder ein bisschen regelmäßiger zu
schreiben ;)
Ich hoffe, euch geht es allen gut, und macht euch keine
Sorgen, auch wenn dieser Eintrag ein bisschen negativ geworden ist, bin ich im
allgemeinen hier sehr, sehr glücklich – nur jetzt um Weihnachten herum eben ein
bisschen nachdenklich und ein bisschen wehmütig :)
Alles, alles Liebe aus dem sonnigen Chile ins regnerische
Deutschland,
Eure Julia
Das Schaf |
Zubereitung des Ñache |
Ñache |