Hola!
So, nun lass ich auch mal wieder etwas von mir hören.
Langlang ist’s her, dass ich hier was geschrieben hab, aber das ist alles nicht
ganz unbegründet.
Die letzten drei Monaten waren ein ständiges auf und ab. Der letzte Blogeintrag ist, wie ich gerade sehe, vom 3. Januar (ups!), also noch ganz am Anfang der großen Sommerpause, die jetzt letzte Woche geendet hat.
Wie ich da ja schon geschrieben habe, sind die meisten
unserer Heimkinder Ende Dezember über die Sommerferien zu ihren Familien nach
Hause gefahren. So blieb hier im Heim nur eine kleine Gruppe mit wechselnder
Besetzung, meist hatten wir so fünf bis fünfzehn Kinder.
Mit diesen sind wir dann direkt Anfang Januar in eine Art
Ferienlager in die Berge gefahren. Als ich Ende November zum ersten Mal von
diesem Ferienlager gehört hatte, war es mir wie eine super Idee vorgekommen:
Zwei Wochen Ferien mit den Kindern, tolle Landschaft, Sonne, Baden im Fluss…
Hahaha. Diese Vorstellungen wurden mir schon im Voraus von den Erzählungen der
meisten Tías genommen, die alle überhaupt keine Lust auf dieses Ferienlager
hatten und unglaublich viel Negatives erzählt haben.
Auch schon in den ersten Wochen hier im Heim ist mir
aufgegangen, dass das alles schwieriger werden könnte als gedacht: Die Kinder,
die hier geblieben sind, sind nämlich wirklich die allerproblematischsten.
Da haben wir zum Beispiel die siebenjährige Claudina, ein
Mädchen, dass wohl schon mit einem Alkoholsyndrom auf die Welt gekommen ist
(nicht diagnostiziert, aber man sieht es ihr an), und zudem ihr ganzes Leben
sexuell missbraucht worden ist.
Oder Bastian, ein dreizehnjähriger Junge, der wohl ähnliche
Erfahrungen gemacht hat, jedenfalls jetzt eine absolut gestörte Sexualität hat,
sehr viele seltsame Aktionen bringt (die ich hier jetzt lieber nicht genau
ausführen will) und der immer wieder versucht, den kleineren Jungen
nachzustellen… Wäre er erwachsen, würde man auf jeden Fall sagen, dass er
pädophil ist, bei einem dreizehnjährigen Jungen finde ich dieses Wort aber
etwas schwierig…
Und, wer noch? Perfekt in der Kombination mit Bastian eine
Zweijährige (auch mit Alkoholsystem), ein Dreijähriger (Nacho, eins meiner
Lieblingskinder), und Giovanni, ein Vierjähriger…
An dieser Stelle könnte ich jetzt noch mehr Geschichten von
den restlichen zehn Kindern erzählen, von dem siebenjährigen Ruben, der mir
erzählt, wie er immer mit seinen Eltern zusammen Wein trinkt; von der
vierzehnjährigen Angela, die schon ihr ganzes Leben von Heim zu Heim gereicht
wird und sich bereits mit zwölf Jahren für einen Sechzigjährigen prostituiert
hat um Geld zu verdienen (wohlbemerkt hier in Santa Bárbara, zu einer Zeit wo
sie schon in Heim gewohnt hat…)…
Aber all diese schrecklichen Geschichten gehören schon zum
Alltag – ich fühle mich manchmal ganz abgestumpft, das meiste erstaunt einen
schon gar nicht mehr…
Das, was ich persönlich jedoch ganz, ganz schrecklich finde, sind die Fälle, die sich direkt hier im Hogar abspielen, worüber aber einfach nicht gesprochen wird. Zum Beispiel gab es vor ungefähr einem Jahr einen Zwischenfall, wo einer der Jungs einen anderen „sexuell missbraucht hat“ – in welchem Umfang weiß ich nicht.
Das Problem hier ist einfach, dass dieses Thema komplett
totgeschwiegen wird. Nach diesem Zwischenfall hat unser Chef eine Zusammenkunft
mit allen Mitarbeitern einberufen und gesagt, wer über dieses Thema jemals
außerhalb des Hogars sprechen wird, kann gleich gehen…
Insgesamt, unser Chef. Das ist ein ganz eigenes Thema für
sich, dass sich in den letzten zwei Monaten immer weiter zugespitzt hat.
Zum Beispiel hatten Maria und ich eigentlich mal die Idee,
hier eine Aufklärung zum Thema Sexualität zu starten (was ist Sexualität
überhaupt, wie verhüte ich, wie verhalte ich mich bei sexuellen Übergriffen,
gerade bei Lehrern, Tíos oder ähnlichem…)
Bei der Mitarbeiter-Reunion hat unser Chef diese Idee zuerst
als sehr gut befunden (ich meine, wir haben hier eine siebzehnjährige, die
gerade Anfang März ihr Kind entbunden hat und einen anderen Siebzehnjährigen,
der bald Vater wird!), nur um uns dann aber ein paar Wochen später wörtlich zu
sagen „Nein, so ein Kurs wird hier niemals stattfinden, die katholische Kirche
verbietet Verhütung, wir sind ein Heim mit den katholischen Werten und so
werden wir über dieses Thema nicht sprechen.“
Ich mein, was kann man da noch zu sagen? Verhütung ist eine
Sache, aber dieses ganze sexuelle-Missbrauch-Thema ist ja noch mal was ganz
anderes, schließlich sind die Kinder hier im Heim um beschützt zu werden!
Aber naja, nun bin ich ein bisschen abgeschweift. Anfang Januar waren wir eben auf diesem Campamento – und es waren die bisher schlimmsten zwei Wochen im Heim.
Die Kinder haben sich einfach so schlimm benommen, dass man
sie keinen Moment aus den Augen lassen konnte – das heißt, wir waren 24-Stunden
am Tag in Bereitschaft!
Und trotzdem haben es diese Kinder geschafft, nur Scheiße zu
bauen: Direkt am ersten Tag ist ein Mädchen ins Haus einer Nachbarin
eingebrochen und hat 40.000 Pesos geklaut, also ungefähr 60 Euro – was hier
wirklich unglaublich viel ist. 10 000 haben wir dann bei ihr gefunden, der Rest
ist nie wieder aufgetaucht…
Ein paar Tage später haben dann ein paar Kinder die Scheiben
von einem anderen, leerstehenden Haus eingeschmissen, sind da eingebrochen und
haben das ganze Haus durchwühlt – wir wissen noch nicht, ob sie was geklaut
haben.
Und am Ende der ersten Woche ist dann das krasseste
passiert: Draußen hats halt übelst geregnet und wir waren alle drinnen basteln.
Irgendwann ist uns dann aufgefallen, dass zwei Kinder, ein 7-jähriges Mädchen
und ein 9-jähriger Junge von ihrem aufs-Klo-gehen nicht mehr wiedergekommen
sind. Eine Tía ist sie dann suchen gegangen und hat sie auch sehr schnell
gefunden – sie waren kurz davor, Sex zu haben…
Die Tía war dann auch dementsprechend geschockt, hat dem
Jungen eine geknallt und hat ihn ins Bett geschickt…
So weit so gut.
Dieser Junge (9 Jahre alt!) ist dann aber in der Nacht
abgehauen – mit Rucksack und seinen ganzen Sachen.
Wir mussten ihn dann also suchen gehen – im strömenden Regen
und ohne Auto. Und natürlich hatte man in den Bergen auch keinen Handyempfang…
Zum Glück haben wir ihn dann aber gefunden und joa.
Naja, das waren nur einige Auschnitte, aber mehr schreib ich
jetzt da nicht mehr zu, weildas jetzt auch alles schon wirkliche lange her ist…
Das war echt mein absoluter Tiefpunkt, ich hab die gesamte zweite Woche
eigentlich jeden Abend nur noch geheult ;)
Danach hatten wir dann endlich eine Woche frei – was
wirklich bitter nötig war um von allem ein bisschen Abstand zu gewinnen.
Aber natürlich war es auch nicht so einfach, diese Woche
frei zu bekommen…
Es war nämlich so, dass alle chilenischen Mitarbeiter für
die 14 Tage Ferienlager auch 14 Tage Ferien zusätzlich bekommen haben. Nun ja.
Alle chilenischen Tías. Bei den zwei Freiwilligen ist das natürlich anders: Die
sind ja freiwillig da, das heißt, die sind auch willens mehr Arbeit zu leisten
– so weit die Argumentation von unserem Chef.
Das ganze ist mit einer Konversation unserer Koordinatorin
vor Ort weitergegangen, was aber alles noch viel schlimmer gemacht hat…
Naja, es würde jetzt zu weit führen alles im Detail zu
erzählen, jedenfalls haben wir jetzt unsere zwei Wochen zusätzliche Ferien.
Der Rest des Sommers war im Heim einigermaßen ruhig,
schwierig und anstrengend. Außerhalb des Heims… Sommer eben :D Feiern, Sonne, Strand…
Gut. Allerdings konnte ich den Sommer oft nicht so genießen wie ich es gerne
getan hätte, weil ich jeden Tag gearbeitet hab.
Denn es ist nun mal einfach wirklich so, das das Heim hier
zu wenig Arbeitskräfte hat, und deshalb immer mehr die Freiwilligen die Rollen
der Tías übernehmen – beziehungsweise mehr arbeiten.
Jetzt war ich die letzten drei Wochen in Urlaub, im Süden
bis runter nach Patagonien – der hammer, da folgt dann noch mal ein extra
Bericht :)
Aber das Zurückkommen war irgendwie ganz schrecklich… Nicht
nur, dass die Ferien zu Ende waren, sondern auch im Heim hat sich einiges
getan: Neben verschiedenen Strukturveränderungen, die hier nicht so wichtig
sind, haben sich zum Beispiel auch meine Arbeitszeiten verändert: Ich arbeite
jetzt entweder von 7-14 Uhr oder von 14-21 Uhr. Dazu zusätzlich jedes zweite
Wochenende.
Prinzipiell ist das ja viel besser, als von 12-20 Uhr zu
arbeiten – aber das Blöde ist einfach, dass es vormittags hier im Heim kaum
etwas zu tun gibt! Die Kinder gehen um acht zur Schule, wo ich sie hinbringe,
und dann komm ich zurück ins Heim und verbring den Vormittag mit Lesen, Reden,
Tee trinken… Vormittags sind hier ja meist keine Kinder da! Hin und wieder gibt
es dann so kleinere Aufgaben, wie ins Krankenhaus zu gehen, aber eigentlich
gilt es eher, die Zeit bis zum Mittagessen totzuschlagen und danach nach Hause
zu gehen ;)
Aber immerhin hab ich so endlich mal Zeit, Blogeinträge zu
schreiben! :D
Die Schichten wechseln immer wöchentlich, d.h. diese Woche
arbeite ich immer vormittags. Die nächste Woche geht’s dann erst mal aufs
Zwischenseminar nach Olmué, ich bin schon gespannt, wie das wird, habe
allerdings ehrlich gesagt nicht allzuviele Erwartungen… Mal schauen.
Danach melde ich mich dann wieder (die über-über-nächste Woche,
wenn ich wieder vormittags arbeite :D) mit einem Reisebericht der letzten
Wochen.
Ganz viele Grüße und bis bald!
Eure Julia